Ralf Wagner

 
  DIE ZEIT und der EURO
 

Eigentlich ist es aussichtslos. Einen EURO-skeptischen Leserbrief in der ZEIT zu plazieren, das habe ich schon so oft versucht und immer ohne Erfolg. Aber auch andere scheinen es nicht geschafft zu haben, denn während "sechzig Prozent der Deutschen gegen den EURO sind und vierzig Prozent nicht dafür" (Karl-Otto Pöhl), werden die wohl erheblichen Bedenken in der Zeitschrift, die ich nach wie vor Woche für Woche lese nicht wahrgenommen oder in Bausch und Bogen als uneuropäisch abgebügelt.

Doch daß der blinde EURO-Wahn des Kanzlers die Regierung mittlerweile in ein fast auswegloses Dilemma geführt hat, das ist nun auch der ZEIT aufgefallen. Aber natürlich sei es eben nur das Unvermögen der Regierung, ja der "Kleinmut vor dem großen Sprung", wie es Robert Leicht in seinem Leitartikel formulierte, die diese Misere hervorbrachten und nicht des Projekt EURO ansich. Immerhin, das halbe Eingeständnis der Wahrheit läßt mich dann doch wieder hoffen und schreiben - auf daß der andere Teil auch noch sein Forum in der ZEIT finden möge.

Wie man spätestens seit dem Streit ums Gold weis, wurde die Bundesbank ebenso wie die anderen europäischen Notenbanken von der Maastrichter Entscheidung zur Einführung einer gemeinsamen Währung überrascht. Offensichtlich hatten die in der holländischen Kleinstadt versammelten Mitglieder des Europäischen Rates es 1992 nicht geschafft, die für einen Binnenmarkt notwendigen Harmonisierungen der Steuer- und Sozialsysteme zu verabreden. Viel einfacher erschien es ihnen wohl, ihren europäischen Tatendrang mit der Ankündigung einer einheitlichen Währung zu demonstrieren. Das, so glaubt man, sei einfach zu machen, und mögliche Zweifel am Ergebnis, dem EURO, sollten mit den Konvergenzkriterien ausgeräumt werden. Weder das Vorhaben selbst noch die mittlerweile zu Überzielen der Wirtschaftspolitik geratenen Kriterien für die Beitrittsländer waren das Ergebnis von Konsultationen oder des Rates von Sachverständigen, sie waren und sind Ziele, die sich die Politiker selbst gestellt hatten. Leider fand auch nach dem Maastrichter Beschluß keine Diskussion mehr statt, seither galt - leider auch in der ZEIT- : Wer für Europa ist, muß auch für den EURO sein.

Liest man nun Robert Leicht, scheint das auch noch heute zu gelten. "Den Eliten in Frankreich wie in Deutschland sei es bisher nicht gelungen, die Wähler ausreichend davon zu überzeugen, daß die weitere Vertiefung des gemeinsamen Marktes bis hin zur einheitlichen Währung der einzig erfolgversprechende Weg ist, Europa im weltweiten Wettbewerb ein größeres spezifisches Gewicht zu verschaffen." Mal ganz davon abgesehen davon, daß es niemals nur einen Weg gibt, steckt in diesem Satz doch das ganze Dilemma der EURO-Debatte. Es ist sichtbar nur die Erfahrung der Eliten, die fernab existentieller Sorgen Europa wöchentlich oder wechenendlich erleben, und die Vielzahl der Währungen als störend empfinden. Nur teilen sie diese Erfahrung eben nicht mit den Mehrheiten. Ebenso ist es nicht der Erfahrung der viel zitierten globalen Märkte, denn weder in der nordamerikanischen Freihandelszone noch in den ach so erfolgreichen asiatischen Staaten oder sonstwo auf der Welt ist man bisher auf die Idee einer Währungsunion gekommen.

Unübersehbar ist weiterhin, daß die politischen Eliten in Frankreich ebenso wie in Deutschland zwar vollmundig für den EURO werben und gar zu "lohnenden Opfern für dieses historische Ziel" aufrufen, sich selbst aber von der Erbringung dieser Opfer ausschließen. Schlimmer noch: Wie auch immer die Sache mit dem EURO ausgehen wird, hektisches und unüberlegtes Sparen zu seiner Vorbereitung hat bereits bis heute hunderttausende Arbeitsplätze in der EU gekostet. Was, verehrter Robert Leicht, sollen die Eliten da noch erklären?

Doch die ZEIT läßt ihren Chefredakteur nicht allein. Jauques Delors, "geistiger Vater" des EURO, schreibt in der gleichen Ausgabe über "die deutsche Angst" und sorgt dafür, das man genau die bekommt, wenn man sie noch nicht hatte. Und dabei handelt es sich keineswegs nur um die Angst ums Ersparte, dem in Zeiten ebenfalls pausenlos infrage gestellter Sozialsysteme eine wachsende Bedeutung zukommt. Vielmehr ist es die Vision des ehemaligen Präsidenten der EG-Kommission, daß allein schon die Eliten und ihr Sachverstand einen stabilen Euro, Europas Wettbewerbsfähigkeit und mehr Beschäftigung garantieren. Es handelt sich doch bei dabei genau um die Personen, die momentan bei der Vorbereitung des EURO so kläglich und hilflos agieren.

Geradezu abenteuerlich aber wird es, wenn ebenfalls in der jüngsten Ausgabe der ZEIT Alain Touraine unter der Überschrift "Die Linke will Europa" versucht, den Wahlausgang in Frankreich dahingehend zu interpretieren, daß die Wähler den EURO unbedingt wollten, hart soll er sein, aber ohne Stabilitätskriterien. "Machtvoll haben die Franzosen zum Ausdruck gebracht, daß sie es nicht hinnehmen, wenn ihr Leben ... , wenn die Gesellschaft, die Wirtschaft, gar die nationale Existenz vollständig den Erfordernissen des Marktes unterworfen werden." Gut gebrüllt, Löwe! Nur waren es nicht die Erfordernisse des Marktes, welche die Franzosen gebeutelt haben, es war das rigerose "Fit-für-den-EURO"-Programm der alten bürgerlichen Regierung, die damit nichts anderes machte als den Visionen der Sozialisten Delors und Mitterand zu folgen.

Und genau das haben die Franzosen satt - für die Visionen der Eliten allein die Zeche zu bezahlen. Und dabei sind die Franzosen sicher nicht allein.

Ihr Meisterstück müssen die Berufseuropäer beim Abbau der Arbeitslosigkeit und beim Aufbau einer politischen Union liefern, wobei letztere eben nicht ausschließlich von Eliten getragen werden darf. Nur wenn ihnen das gelingt, werden sie das Vertrauen zurückerobern, was ihnen das Mandat für weitere Projekte wie den EURO verleiht.

Das heißt aber im grunde nichts anderes, als im Moment auf den EURO zu verzichten. Da sich dieser Gedanke derzeit überall breitzumachen droht, ist noch ein mal Bangemachen im Lager EURO-Strategen angesagt.

Da fragt ausgerechnet DIE ZEIT, ob man denn mit einer möglichen Verschiebung des EURO alle Konsolidierungserfolge in Europa aufs Spiel setzen wolle? Wer fragt nach dem Preis, um den sie erreicht wurden? Und da nur unüberlegt und um des EURO willen gespart wurde, sieht der Konsolidierungserfolg in Deutschland so aus, daß die Folgen jeder Sparrunde in Mindereinnahmen und damit in neuen Löchern in Budget bestehen.

Auch die Warnung vor einem Aufwertungsdruck auf D-Mark geht eigentlich ins leere. Zum ein schlagen sich die "Erfolge" der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik in einem deutlich Kursverfall der D-Mark nieder, zum anderen ist ein möglicher Aufwertungsdruck auf die Mark doch weitestgehend die Folge unseres riesigen Exportüberschusses. Wer anderen immer mehr verkauft, als er ihnen abnimmt, muß damit rechnen, daß seine eigene Währung, die dadurch ja verstärkt nachgefragt wird, im Wert steigt. Das erschwert zugegebenermaßen den Export, erleichtert aber den Import und führt in der Tendenz zu ausgeglichen Märkten und läßt die deutsche Wirtschaft endlich den dahindümpelnden Binnenmarkt wiederentdecken. Wer mag das bedauern?

Aber Immerhin: Auf Seite 4 darf Gerhard Schröder zur Verschiebung der Währungsunion aufrufen. Das läßt hoffen. Für Europa und auch für mein altes Lieblingsblatt DIE ZEIT.

06. Juni 1997

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