Ralf Wagner
[28.3. 06]

Verantwortung der Eliten für die Meinungsfreiheit
zu „Krise der Verantwortungslosigkeit“ in Die Zeit 13/06

Mehr als zweihundert Jahre ist es her, daß Immanuel Kant die Menschen aufforderte, jede Autorität der Prüfung durch die Vernunft zu unterziehen. Gemeint war damit auch und vor allem die Autorität der Kirche. Es beschleunigte sich damit der Prozeß, religiöse Dogmen nicht länger durch staatliche Sanktionen der Kritik zu entziehen. So erfolgreich dieser Weg auch war, so viel Kreativität und Freiheit er auch freigesetzt hat, abgeschlossen ist er jedoch nicht – und unumkehrbar wie es aussieht wohl auch nicht.
Denn auf nichts anderes das läuft das monströse Regelwerk hinaus, welches Helmut Schmidt und das
InterAction Council jetzt vorschlagen: einen „verantwortungsvolleren“ Umgang mit der Meinungsfreiheit.
Dabei übersehen elder statesman zum einen, daß eine Meinungsfreiheit, die man nicht gebrauchen darf, auch keine ist und zum anderen, daß die Medien beispielsweise in islamischen Ländern von der Meinungsfreiheit gar keinen „verantwortungsvolleren“ Gebrauch machen können, weil sie dort (noch) gar nicht existiert.
Damit richtet sich der Vorschlag einzig gegen den Westen. Gerade aber auch die „weltweite Zustimmung von Religionsführern“ spricht gegen diesen Vorschlag. Jeder von ihnen hält sicher schon eine lange Liste von Tabuthemen bereit, deren „Schutz“ er künftig (wieder) von den Staaten erwartet.
Und die Sanktionen? Landet die dänische Regierung vor dem Haager Tribunal? Werden Salman Rushdie oder Ayaan Hirse Ali wegen Störung des interreligiösen Honeymoons ausgeliefert? Oder sollen wir die Scheiterhaufen gleich selber anzünden?
Nein, das was da vorgeschlagen wird, ist das erste Glied für die Kette auf dem Weg zurück ins Mittelalter. Eine Krise der Verantwortungslosigkeit? Aber sicher! Es ist verantwortungslos, wie ein Teil unserer Eliten bereit ist, Freiheit, Kritik und Wahrheit aufzugeben.

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